Wie viele berühmte Menschen mit Behinderung kennen Sie? Stephen Hawking, Ludwig van Beethoven, und wen noch? Doch es gibt eine Reihe von interessanten Persönlichkeiten, die ebenfalls eine Behinderung hatten oder haben …Der deutsche Buchautor Rainer Zitelmann hat 20 erfolgreiche Menschen mit Behinderung im Buch "Ich will" porträtiert.
Rainer Zitelmann hat für sein 2021 erschienenes Buch „Ich will: Was wir von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen können“ 20 berühmte Menschen mit Behinderung porträtiert, darunter international bekannte Persönlichkeiten, wie die eben genannten. Im Buch kommen aber auch behinderte Menschen vor, die hierzulande weniger berühmt sind, so etwa die US amerikanische Buchautorin Helen Keller. Die 1880 geborene Literatin konnte von Geburt an weder sehen noch hören. Sie war also das, was man damals als taubblind beschrieb. Oder auch den blind Traveller James Holman, der die halbe Welt bereiste. Ein Kapitel des Buches ist der im Jahre 1847 geborenen Unternehmerin Margarete Steiff gewidmet. Sie hat ein weltweit bekanntes Stofftierimperium aufgebaut, die Teddybären der Marke sind bei Sammlern begehrt. Unter den Porträtierten ist auch ein blinder Bergsteiger, der die sieben höchsten Gipfel der Welt bestiegen hat und ein Motivationsredner, der ohne Arme und Beine geboren wurde. Das Vorwort zum Buch schrieb übrigens Saliya Kahawatte, der seine Lebensgeschichte im Buch „Mein Blinddate mit dem Leben“ niedergeschrieben hat. Auch der Autor Christy Brown, dessen Lebensgeschichte im 1989 erschienenen irisch-britischen Drama "Mein linker Fuß" verfilmt wurde, ist in diesem Sammelband vertreten. In der Liste der Protagonisten tauchen aber auch Künstlergrößen wie Vincent Van Gogh, Frida Kahlo, Andrea Bocelli und Thomas Quasthoff auf.
Auslöser für das Zustandekommen dieser Sammlung von Biographien war, dass bei Rainer Zitelmann selbst eine Augenerkrankung diagnostiziert wurde. Der 1957 geborene Autor hat mehrere Motivationsbücher verfasst und sich auch mit der Soziologie der „Reichen“ beschäftigt. Rainer Zitelmann hat Soziologie und Geschichte studiert und in beiden Fachrichtungen promoviert. Im Gespräch mit Sandra Knopp und Christoph Dirnbacher spricht er über Erfolgsfaktoren und auch über den Neidfaktor. Letzterer begleitet erfolgreiche Menschen mit Behinderung ebenso wie nicht behinderte erfolgreiche Zeitgenossen.
„Ich will: Was wir von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen können“ ist im Juni 2021 im FinanzBuch Verlag erschienen und ist auch als Hörbuch verfügbar.
Wenn euch diese Episode gefallen hat, empfehlt uns bitte weiter. Und vergesst bitte nicht, unseren Kanal zu abonnieren. Wir freuen uns auch über eine gute Bewertung. Diese Interview wurde am 21. Juni 2023 im Ö1 Inklusionspodcast ausgestrahlt.
Menschen, Geschichten, Leidenschaften Zitelmann Transkript
Moderation Sandra Knopp: Herzlich willkommen bei Freak Casters, sagt Sandra Knopp. Wie viele Namen fallen Ihnen ein, wenn Sie an prominente Menschen mit Behinderung denken? Vermutlich denken Sie an Stephen Hawking, den brillanten britischen Physiker, der aufgrund der fortschreitenden ALS Erkrankung im Rollstuhl saß und zur Kommunikation einen Sprachcomputer nutzte.
Vielleicht denken Sie auch an den berühmten Komponisten Ludwig van Beethoven, der fast vollständig gehörlos war, als er seine neunte Symphonie komponierte. Aber kennen Sie auch jene Frau, die als Kleinkind an Kinderlähmung erkrankte und die ersten Teddybären in Deutschland produzierte?
Das war Margarete Steiff. Oder kennen Sie die Geschichte von Ray Charles, der im Alter von sieben Jahren erblindete und zu einem der bekanntesten Soulsänger wurde? Rainer Zitelmann hat in seinem Buch „Ich will“ die Lebensgeschichten von 20 Menschen mit Behinderungen aufgeschrieben. Ihn hat interessiert, was man von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen kann. Das folgende Gespräch mit dem deutschen Buchautor haben Christoph Dirnbacher und ich online geführt.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Wir wissen ja aus dem Buch, dass sie Interviews bzw. Umfragen in Auftrag gegeben haben, sowohl in Deutschland als auch in den USA, wie viele Menschen sozusagen mit Behinderung einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Aber uns würde interessieren: Welche Menschen mit Behinderung kannten Sie denn, bevor Sie mit den Recherchen zu diesem Buch begonnen haben?
RAINER ZITELMANN: Ja, ich kannte natürlich so ein paar, im Prinzip aber auch nur die gleichen, die jeder kennt. Stephen Hawking zum Beispiel, den Physiker oder Stevie Wonder. Ray Charles, dann klar, wenn man in Deutschland lebt wie ich, dann kennt man auch den Politiker Wolfgang Schäuble, der ja im Rollstuhl sitzt. John Nash habe ich auch schon mal Videos gesehen gehabt. Aber wenn ich ehrlich bin, das war so bei mir wie bei den meisten Menschen auch. Also wenn mir jemand gesagt hätte, zähl mal zehn auf, dann hätte ich auch schon Schwierigkeiten gehabt, wahrscheinlich. Und in meinem Buch habe ich dann immerhin über 20 geschrieben.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Und die 20 waren jetzt das perfekte Stichwort. Denn in Ihrem Buch haben Sie sowohl historische Persönlichkeiten als auch Sportler oder Musiker porträtiert mit unterschiedlichsten Behinderungen. Ungefähr neun blinde Menschen habe ich nachgezählt, sind darunter. Aber auch jemand, der aufgrund von Contergan seine Behinderung hat, oder auch jemand, der von Geburt an nicht sehen konnte. Deswegen drängte sich bei uns die Frage auf: Wie sind Sie denn bei der Auswahl der Protagonisten und Protagonistinnen vorgegangen? Wer kam warum in das Buch hinein, und wer warum nicht?
RAINER ZITELMANN: Ja, da hätten natürlich noch viel mehr Menschen Platz drin in dem Buch. Jetzt ist ja so ein Buch auch, hat ja einen begrenzten Umfang. Das waren einfach Menschen, die ich ausgesucht habe, die man auch in anderen Kontext oft kennt. Also nicht alle, Beethoven zum Beispiel kennt logischerweise jeder oder van Gogh kennt auch jeder. Es waren aber auch ein paar dabei, das fand ich besonders reizvoll, von denen ich vorher nie gehört hatte und die auch niemand kennt.
Zum Beispiel der sogenannte Blind Traveller Holman, der damals schon 400.000 Kilometer um die ganze Welt gereist ist, vor 200 Jahren. Also das fand ich einen der beeindruckendsten Geschichten. Und war das also so eine Mischung aus Menschen, wo jeder sagt „Aha, hab ich schon mal gehört“, Ray Charles oder Stevie Wonder. Aber es war mir auch wichtig, Menschen reinzubringen, über die man noch nie etwas gehört hat oder über die nur wenige Menschen etwas wissen.
Wie zum Beispiel auch Margarete Steiff, wo jeder sicherlich die Firma kennt oder die Plüschtiere. Es gibt sicher viele, die haben auch zu Hause, so wie ich, so Plüschtiere von Steiff. Aber dass das jetzt von einer Frau gegründet wurde, von einer erfolgreichen Unternehmerin, die schwer behindert war und im Rollstuhl gesessen hat, das wissen sicherlich die wenigsten Menschen.
SANDRA KNOPP: Wie sind Sie denn zum Beispiel auf diesen Herrn Holman gestoßen oder wie sind Sie da bei der Recherche vorgegangen?
RAINER ZITELMANN: Ja, so wie eigentlich jeder vorgeht heutzutage, dass man mal im Internet einfach googelt und Begriffe eingibt wie „berühmte behinderte Menschen“ und dann, wenn man anfängt zu lesen, so war das auch bei den Holman, dann kommt man dann von einem zum anderen. Dann findet man irgendwo in einer Fußnote einen Hinweis auf wieder eine andere Person und guckt dann nach und besorgt sich die Bücher.
Also das war jetzt kein systematischer Prozess wie ich die Leute ausgesucht habe, sondern mir war wichtig, dass man auch Menschen mit unterschiedlicher Behinderung dabei hat, wobei ein gewisser Schwerpunkt die Blinden sind. Was aber auch unter anderem damit zusammenhängt:
Also erstens ist es natürlich, sagen wir, eine der verbreitetsten Behinderungen und dann war es auch ein persönlicher Grund, warum ich das Buch geschrieben hatte, weil das war der Auslöser für mich, weil bei mir eine ernsthafte Augenkrankheit diagnostiziert worden war. Und das war überhaupt der Auslöser, warum ich mich überhaupt mit dem Thema beschäftigt hab.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Der Augenerkrankung wird mir eher eine Frage vorbereitet. Uns hätte interessiert, wenn Sie schon sagen, es war der Auslöser: Sie haben ja mit Biographien von blinden Menschen begonnen, welche der Biographien, die Sie gelesen haben, hat Ihnen persönlich am meisten weitergeholfen?
RAINER ZITELMANN: Also ich fand ganz besonders beeindruckend die Biografie von einem Menschen – bevor ich jetzt den Namen nenne, mache ich es mal so, wie ich das auch in meinen Vorträgen tue, dass ich einfach etwas über ihn berichte. Also jemand, der 1930 als Schwarzer geboren wurde, in den USA, in einer der ärmsten Familien seiner Stadt geboren wurde, der seinen Vater nie kennengelernt hat, dessen Mutter mit 31 Jahren gestorben ist, der als Kind ansehen musste, wie sein Bruder starb und der dann mit sieben total erblindete.
Den kennt jeder und die Leute sind meistens überrascht, wenn ich dann sag: „Das ist Ray Charles“. Ein sehr beeindruckender Mann, der später alles erreicht hat, was man erreichen konnte. Und der hat damals schon hunderte Millionen Dollar gehabt. Heute bedeutet das bestimmt Milliardär. Er hat jede Menge hübsche Frauen auch gehabt, also eigentlich so viele Dinge, von denen viele andere Menschen träumen. Und das ist doch bemerkenswert, wenn man die Biografie von so einem Menschen liest. Für mich persönlich hat die Angst zu erblinden etwas von dem Schrecken verloren durch gerade diese Geschichte von Ray Charles.
SANDRA KNOPP: Was hat Sie am James Holman so begeistert? Da habe ich auch herausgehört, der Mann könnte auch ein Vorbild sein für viele Menschen.
RAINER ZITELMANN: Absolut. Also wenn man mal denkt, der ist gereist durch die Steppen von Sibirien, wo es also eiskalt war. Also auf dem Pferdeschlitten mit einem Kutscher, der konnte kein Russisch, also die konnten sich gar nicht verständigen. Der hat auch nicht viel Geld gehabt. Der ist durch Afrika gereist, durch Südamerika, also 400.000 Kilometer, muss man sich mal vorstellen. Das ist etwas weiter als die Entfernung zum Mond. Und damals gab es ja keine Flugzeuge, es gab auch noch keine Dampfschifffahrt.
Also zum großen Teil hat er das zu Fuß, manchmal auch auf dem Pferd zurückgelegt und hat Bücher dabei geschrieben, hat sogar so eine spezielle, weil also so normal wie andere Menschen mit einer Feder war schwer zu schreiben, da hat er ein Gerät, was damals gerade erfunden wurde benutzt um seine Reiseberichte zu schreiben und hat also da unglaublich viel erlebt in diesen Ländern.
Und das alles als Blinder, der nicht viel Geld hat. Ja der konnte Englisch, weil er war fit und konnte auch Französisch, aber die meisten sprachen von den Ländern wo er war konnte er nicht. Also das hat mich schon richtig beeindruckt und sein Buch strahlt so was fröhliches, gut gelauntes aus dabei. Und das ist natürlich auch ein Gegenentwurf zu Menschen, die dann ja verständlicherweise, auch wenn sie eine Behinderung haben, irgendwo in eine Verbitterung reinkommen. Also das hat mich auch richtig begeistert.
SANDRA KNOPP: Was mich noch interessieren würde, ist, welche Frau und welchen Mann hätten Sie gerne getroffen?
RAINER ZITELMANN: Ja, alle am liebsten. Aber natürlich Beethoven wäre ja toll. Ja, auch beeindruckende Persönlichkeit. Aber die beiden, die ich eben genannt hab, haben Sie schon herausgehört, der James Holman und der Ray Charles, das waren sicher Menschen, die mich sehr beeindruckt haben. Waren auch andere dabei, wie der van Gogh, wo ich mich monatelang mit ihm beschäftigt habe.
Und das hat auch ein bisschen traurige Stimmung gegeben, weil er war zwar im Nachhinein gesehen sehr erfolgreich, seine Bilder gehören ja heute zu den teuersten der Welt, aber in seinem ganzen Leben hat er nur ein einziges Bild verkauft, und das zu einen geringen Preis, hat auch keine Anerkennung bekommen, hat kein Geld gehabt, war dann ja auch psychisch erkrankt. Also ich habe mir auch einen Moment lang überlegt, gehört er überhaupt in ein Buch über erfolgreichen Menschen?
Aber wenn man Erfolg da dran misst, also was er selbst auch gesagt hat, er hat sich so wie der Sämann gesehen, der Dinge aussät, die dann vielleicht erst nach seinem Tod zur Blüte kommen oder wachsen. Und das ist ja auch passiert. Also die gesamte moderne Malerei, die hat ja letztlich dann auf ihm basiert. Also, ich sag mal, die Saat ist aufgegangen, aber erst nach dem Tod. Und natürlich wünscht sich jeder Mensch, dass er nicht erst nach dem Tod, sondern auch schon Zeit seines Lebens die ihm gebührende Anerkennung bekommt.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Ja, wobei es in Wien ein Sprichwort gibt „Man müsse erst sterben, bevor man richtig hochleben kann“. Also der Wiener hat hier offenbar eine gewisse Affinität, die Leute erst dann berühmt zu machen, wenn sie schon längst das Zeitliche gesegnet haben. Aber was mich interessieren würde, ist: Sie beschäftigen sich ja auch in vielen anderen Büchern mit Erfolg. Und Sie haben selbst ein bisschen daran gezweifelt, ob etwa ein John Nash oder ein Vincent van Gogh die klassischen Erfolgsfaktoren erfüllen. Jetzt würde mich interessieren, wie würden Sie denn Erfolg definieren?
RAINER ZITELMANN: Also die einfachste Definition ist sicherlich „Erfolg heißt, wenn man das erreicht, was man sich vornimmt, die Ziele, die man sich setzt“. Wobei große Erfolge hängen natürlich auch zusammen mit großen Zielen. Und das kann man ja für die beiden bejahen. Also der Nash, der war ja Nobelpreisträger. Mehr geht nicht in der Wissenschaft. Und der van Gogh ist einer der berühmtesten Maler.
Mehr geht auch nicht. Insofern klar erfolgreich. Aber natürlich hat Erfolg noch für mich eine andere Komponente: ein glückliches und frohes Leben. Und deswegen würde ich dann doch eher mit dem Ray Charles oder mit dem James Holman tauschen als mit dem Nash oder mit dem Van Gogh. Weil wenn man so deren Biografien liest, das war kein glückliches Leben. Insofern, wenn man jetzt zum Erfolg auch noch ein glückliches Leben dazu nimmt, dann muss man da schon eine Einschränkung machen.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Und ich muss gestehen, ich habe mich dabei ertappt, wie ich Ihr Buch las, dass ich immer wieder auf der Suche was nach Parallelen, nach Dingen, die die einzelnen Protagonisten und Protagonistinnen miteinander quasi verbinden, nach der großen Klammer. Und ich hab mir gedacht, die Frage muss ich mir unbedingt für Sie aufheben, weil mich interessiert hätte, welche Gemeinsamkeiten sie im Laufe der Recherche und des Verfassens erkannt haben. Welche Faktoren sind es denn, die diese Menschen allesamt gemeinsam haben?
RAINER ZITELMANN: Also ich glaube, dass diese Menschen im besten Fall eins beherrscht haben, nämlich die Fähigkeit, Dinge, die sie nicht ändern können, einfach hinzunehmen und dann das absolut Beste aus ihrem Leben zu machen, vielleicht sogar einen Vorteil darin zu sehen. Stephen Hawking hat mal gesagt, dass seine Behinderung sogar in gewisser Weise ein Vorteil für ihn gewesen ist, weil er war dann als Physiker von den Lehrverpflichtungen entbunden, was die meisten Professoren sowieso nervt. Er konnte sich allein auf seine Forschungen fokussieren.
Und er hat mal gesagt, der Stephen Hawking, er würde den Menschen mit Behinderung empfehlen, dass sie sich nicht auf die Dinge konzentrieren sollen, die sie nicht können, sondern auf die Dinge, die sie können. Und das ist auch so eine Einstellung, dass man selbst die Schuld für Dinge nicht jetzt bei anderen sucht. Das ist heut was, was mir nicht gefällt. Es gibt so in der Gesellschaft so eine gewisse Opfermentalität von vielen. Ja, ich bin Opfer von was weiß ich. Rassismus, Sexismus, was auch immer alles. Menschen wollen sich heute gerne als Opfer sehen. Das haben diese Leute nicht getan.
Also wenn man noch mal auf den Ray Charles zurück kommt: Der hat ja auch Probleme gehabt. Er war 15 Jahre seines Lebens drogenabhängig, also heroinabhängig. Und dann irgendwann hat man, wo man ihn dann gefasst hat, dann wollte man den Namen von seinem Dealer wissen. Und da hat er gesagt, er gibt den Namen nicht raus, weil er sagt, das was nicht die Schuld von dem Dealer, dass ich Heroin genommen habe.
Und er hat noch hinzugefügt, ich habe es auch nicht genommen, weil ich arm bin, auch nicht, weil ich schwarz bin, auch nicht, weil ich blind bin, sondern es war einfach meine Entscheidung. Und das fand ich so toll, dass er selbst die Verantwortung auch dafür übernommen hat. Und das ist so auch eine wichtige Erkenntnis von mir: Wem ich die Schuld gebe, gebe ich die Macht.
Wenn ich äußeren Verhältnissen oder anderen Menschen die Schuld geben, dann gebe ich diesen Verhältnissen oder anderen Menschen die Macht über mein Leben. Wenn ich mir selbst die Schuld geben, dann gebe ich mir selbst die Macht. Dann kann ich sagen okay, wenn es meine Entscheidung ist, wenn es meine Sache ist, dann kann ich es auch ändern.
Also diese Einstellung, die finde ich schon sehr, sehr wichtig und bemerkenswert. Und das habe ich auch zum Beispiel mit dem Felix Klieser gesehen. Das ist ein junger Mann, der wohnt hier in Deutschland, in Hannover, und der ist ohne Arme auf die Welt gekommen. Der ist einer der bekanntesten, erfolgreichsten Hornisten der Welt. Man hatte ihm vorher gesagt, dass er nie, nie professionell Horn werde spielen können, weil zum Horn spielen – er macht es mit den Füßen – aber da braucht man etwas, das nennt sich stopfen, wo man also praktisch den einen Arm benutzt, den er ja nicht hat, und das konnte er nicht.
Das hat er dann aber experimentell entwickelt, dass er durch bestimmte Bewegungen seiner Lippen das simulieren konnte, was eben nicht möglich war, mit der Hand zu tun, weil er hat keine hat. Und das ist auch ein toller, positiv eingestellter Mensch. Ich habe deb auch hier getroffen und eingeladen und ich habe ihm dann gesagt ja, soll ich sie irgendwie abholen vom Bahnhof? Und er sagte „Ne ne, ich komme mit dem Auto“ und frage ich „Wie Auto, haben Sie ‘nen Fahrer?“ Und er sagte „Ne ne, ich fahre selbst“, „Wie Sie fahren selbst?“ Und er sagte „Ich habe mir so ein Auto anfertigen lassen, was man also ausschließlich mit dem Füßen bedienen kann“.
Dann waren wir zusammen essen, logischerweise hat er auch mit den Füßen gegessen. Ein ganz positiver Mensch, der also um die ganze Welt auch reist und Horn spielt. Und so Menschen, finde ich, muss man die Frage stellen, und das war auch, warum ich das Buch geschrieben habe, auch für Nichtbehinderte: „Wenn ich die innere Einstellung habe, wenn ich die Kraft in mir mobilisiere, die diese Menschen haben, was kann ich dann erreichen?“ Also auch noch ein sehr beeindruckender Mann, Erik Weihenmayer, mit dem ich auch gesprochen habe, der hat als erster Blinder nicht nur den Mount Everest bestiegen, sondern die Seven Summits.
Also die sieben höchsten Gipfel auf sieben Kontinenten – blind. Und der hat mir auch das bestätigt, was auch vorher schon meine Meinung ist, dass man das Ziel dann erreicht, wenn man sein Unterbewusstsein programmiert. Und so hat er das auch gemacht. Er hat mir gesagt, bevor ich auf dem Gipfel des Everest wirklich physisch war, war ich schon hunderte Male dagewesen, habe den Wind gespürt, habe das Gefühl gespürt, wie es ist, auf dem Gipfel zu sein. Weil er sich das praktisch einprogrammiert hat in seinem Unterbewusstsein oder als Blinder auch visualisiert hat.
Also auch ein sehr beeindruckender Mann, Erik Weihenmayer. Ich finde schade, muss ich sagen, dieses Buch gehört also nicht zu meinen erfolgreichen Büchern selbst. Zum Beispiel mein aktuelles Buch wird jetzt in 30 Sprachen übersetzt auf der ganzen Welt. Dieses Buch hier ist noch in keiner anderen Sprache erschienen. Ich habe ja zum Glück einen ersten Verlag gefunden: In Vietnam wird es Buch erscheinen, was mich sehr freut, aber es ist nicht in Englisch erschienen und meine anderen Bücher erscheinen wie so viele Sprachen. Auch in Deutschland hat es sich nicht so besonders gut verkauft.
Wobei die Menschen, die es gelesen haben, viele haben gesagt „Herr Zitelmann, das ist Ihr bestes Buch“. Aber ich muss ehrlicherweise sagen, es ist nicht so erfolgreich. Ich hab mich natürlich gefragt, woran liegt das? Wahrscheinlich doch weil die meisten Menschen irgendwo eine Hemmschwelle haben, Behinderung oder wo man nicht mit in Berührung kommen will. Ich kann es nicht sagen. Vielleicht haben Sie eine Antwort darauf, weil ich finde, es ist ein tolles Buch. Und die Menschen, die es gelesen haben, die finden das auch. Und insofern hoffe ich das jetzt durch unser Interview vielleicht doch der eine oder andere sagt, das klingt interessant, da sollte ich mehr darüber wissen.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Wobei, was uns auch beschäftigt hat, ist die Frage, weniger nach Verkaufszahlen, sondern nach dem richtigen Maß beim Porträtieren. Weil, wenn ich jetzt das Porträt beispielsweise hernehme vom Thomas Quasthoff, so enthält das sehr wohl sehr viele Auskunft über die Kindheit als auch über die Sternstunden seiner Karriere, aber auch über die Tiefen, also über Krisen im Leben, über Dinge, die vielleicht nicht so gegangen sind, wie er sich das gewünscht hat. Ohne jetzt dem potenziellen Leser den Spaß am Durchlesen zu nehmen. Aber wie erreicht man ein gutes Mittelmaß, dass man einerseits nicht zu oberflächlich bleibt, um quasi eine bloße Aufzählung von Daten abzuliefern, aber auch nicht zu voyeuristisch wird.
RAINER ZITELMANN: Das Wichtigste war auch immer für mich die Fragestellung: Wie sind die Menschen damit umgegangen? Was ist ihre Einstellung? Damit man auch versuchen kann, was für sich selbst daraus zu lernen oder für sich selbst abzuleiten. Damit meine ich sowohl für Behinderte – das hoffe ich natürlich, dass manchen Menschen, die selbst behindert sind oder vielleicht auch Eltern mit behindertem Kind – dass die sagen, in dem Buch finde ich Trost und Motivation, Inspiration.
Aber auch nicht behinderte Menschen, die sich dann einfach die Frage stellen: Also, was habe ich für Ausreden? Viele Menschen haben Ausreden, warum sie im Leben nicht mehr erreichen. Und meine Frage ist dann immer: Wenn diese Menschen hier so viel erreichen konnten, warum hast du so viele Ausreden? Die Menschen, die hätten doch alle auch wirklich jeden Grund zu sagen: Also ich konnte einfach im Leben nichts erreichen, weil, weil, weil, und dann alle ihre Probleme aufzählen.
Haben die aber nichts gemacht. Und das ist einfach ein Buch, was dazu dienen soll, dass man sich auch selbst den Spiegel vorhält und sagt: Also wenn ich jetzt gesunde Augen habe, gut hören kann, zwei Arme und zwei Beine hab und im Grunde gesund bin und nicht im Rollstuhl sitze, wo sind dann meine Ausreden dafür, dass ich nicht die Welt erobern kann? Muss ja keiner wollen.
Aber meine Bücher richten sich an Menschen, die wirklich etwas wollen im Leben und vom Leben. Und da denke ich, kann dieses Hineinversetzen in diese Menschen, das haben ja auch die Leute gesagt, die das Buch gelesen haben, die haben gesagt: Ich habe mich hinterher gefragt, Mensch, was steckt eigentlich noch alles in dir drin, was du noch nicht mobilisiert hast, was diese Menschen zum Beispiel für sich mobilisieren konnten.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Das heißt auch ein bisschen das Entdecken der eigenen Potenziale?
RAINER ZITELMANN: Ja, natürlich, darum geht es ja. Ich glaube, jeder Mensch hat irgendwas mitbekommen, irgendwelche Talente. Das ganze Leben geht doch darum, dass du das ausprobierst und entdeckst du dann die Talente zur Entfaltung bringst und dann auch offen bist, einfach mal für neue Erfahrungen und nicht so schnell aufgibst nach dem Motto „ja, das ist unmöglich“, sondern eher überlegst „wie kann ich es doch möglich machen?“
Das ist so das, was man sicherlich von diesen Menschen lernen kann: Auch aus etwas Schlechtem etwas Gutes zu machen. So wie der Stephen Hawking, der hat ja seine Behinderung auch aktiv genutzt auf seinem Weltbestseller: Da ist er vorne drauf im Rollstuhl abgebildet und er hat sogar seine Computerstimme, der konnte ja dann irgendwann aufgrund seiner Behinderung nicht mehr sprechen, die hat er sogar rechtlich schützen lassen als Marke. Also das ist doch die höchste Kunst, dann sogar aus etwas Negativem etwas Positives zu ziehen und ein Nachteil sogar noch in einen Vorteil zu verwandeln. Das ist also schon bemerkenswert.
SANDRA KNOPP: Sie haben ja auch sehr spannende Frauen porträtiert. Also mir ist zum Beispiel eingefallen, die Frida Kahlo oder auch die Helen Keller. Und da hätte ich mich gefragt, welche Rolle spielenden für die Protagonisten und Protagonisten in Beziehungen zu anderen? Weil bei der Helen Keller war ja zum Beispiel die Lehrerin die Anne Sullivan sehr wichtig, die ja gezeigt hat, wie man aus der Hand buchstabiert und von dem her hat sie ja weitere Fertigkeiten entwickelt, oder?
RAINER ZITELMANN: Ja, also das war natürlich, für sie war das sehr wichtig. Ich glaube nicht, dass das für jeden von den Leuten im gleichen Maße wichtig war, jemand anderes zu haben. So jemand wie ein Coach. Für Sie wär das ja praktisch ja gar nicht anders möglich gewesen. Also für diejenigen, die den Namen nicht gehört haben, die Helen Keller, also die war taubstumm und blind. Und die ist später erfolgreiche Schriftstellerin geworden und hat viele Vorträge mithilfe ihrer Lehrerin dann gehalten.
Das ist im Grunde genommen, muss man sagen, das grenzt an ein Wunder. Also gut, dass Sie die jetzt noch mal sehen eine tolle, ganz bewundernswerte Frau. Und ja, bei ihr war es tatsächlich die Lehrerin, die ihr dann diesen Weg überhaupt, sie hat gesagt, den Weg aus der Dunkelheit eröffnet hat. Oder auch eine sehr bewegende Geschichte, jemand, den ich noch erwähnen wollte: Nick Vujicic, der ist ohne Arme und ohne Beine geboren worden und der ist einer der bekanntesten Motivationsredner der Welt.
Der hat Millionen Menschen erreicht, der hat tolle Bücher geschrieben, er hat eine sehr, sehr hübsche Frau, der hat vier Kinder, das ohne Arme oder Beine. Also das ist auch so eine unglaubliche Geschichte. Da kommt man wirklich aus dem Staunen nicht mehr raus.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Was sich wie ein roter Faden auch durch das Buch durchzieht, ist das Motiv: Mitleid bekommt man geschenkt, Neid müsse man sich verdienen. Deshalb die Frage auch von unserer Seite: Diese Faktor Glück, Thomas Quasthoff beschreibt ganz gut, aber auch andere: Ich hatte Glück. Inwiefern ist dieses, was wir so als Zufall, als gute Führung bezeichnen, für Sie tatsächlich vorhanden? Und inwiefern ist es, wie Sie es im Buch beschreiben, nur eine Neidabwehr? Um zu sagen: Ich war es nicht allein, das Schicksal war auch dabei. Stimmt das? Oder ist das eine Mähr.
RAINER ZITELMANN: Ja sie haben so ein Stichwort genannt: Neidabwehr. Den Begriff habe ich nicht entwickelt, sondern der Soziologe Schoeck. Der hat ein tolles Buch geschrieben über Neid, ein ganz tolles Buch. Und da fragt er, warum auch manche erfolgreichen Menschen sagen, wenn man sie fragt: Ja, warum warst du erfolgreich? Die Antwort, zucken dann mit den Schultern und sagen: „Ich habe Glück gehabt“. Ja, das wird man manchmal antreffen. Ich nenne das sozialpsychologisch Neidabwehr, und zwar deswegen.
Nehmen wir mal an, ich bin jetzt erfolgreich, und Sie fragen mich jetzt: „Ja, warum sind Sie erfolgreich?“ Vielleicht auch „erfolgreicher als andere Menschen“. Und ich würde dann sagen, er hat ganz einfach intelligenter als andere. Ich habe auch bessere Ideen, ich bin auch fleißiger. Es würde, glaube ich, nicht so gut ankommen. Dann wird der Neid, den es sowieso auf die Erfolgreichen gibt, noch angeheizt. Und deswegen, wenn die Leute dann sagen naja, ich habe halt Glück gehabt, dann gönnt man das eher dem.
Also ich habe auch mal selbst eine Umfrage gemacht über das Image von reichen Menschen und da war es zum Beispiel so, dass also gerade die, die neidisch sind, dass die eher noch dem Lottospieler sein Geld gegönnt haben als jetzt einem Top-Manager, obwohl ja der Lottospieler jetzt wirklich nur Glück hat. Aber das ist so eine Neidabwehr. Also ich glaube da nicht dran, weil: Ja, Glück und Zufall spielt eine Rolle im Leben. Jeder kann da Beispiele aus seinem eigenen Leben nennen, aber ich habe also noch nie einen Menschen getroffen, der sein ganzes Leben lang immer nur Glück hatte oder immer nur Pech hatte, sondern meistens ist es was, was sich im Laufe der Jahrzehnte irgendwo mehr oder minder wieder auspendelt.
Du hast manchmal Glück, du hast manchmal Pech. Aber das Entscheidende ist doch die innere Einstellung, die du hast. Und das wird ja auch am Beispiel der Leute deutlich. Weil, wenn man noch mal auf den Ray Charles zurück zu kommen, hat der denn Glück gehabt im Leben? Wenn man also denkt, dass er arm geboren wurde, dass er als Schwarzer geboren wurde, dass er blind geworden ist, dass er seine Mutter so früh verloren hatte und seinen Bruder.
Vielmehr Unglück, ich will mal so sagen, geht ja gar nicht mehr. Und ich glaube, das können wir sowieso nicht beeinflussen. Jeder Mensch trifft manchmal auf glückliche oder unglückliche Umstände. Aber das Wichtigste ist, wie wir darauf reagieren. Also wir haben nicht die Wahl, was uns passiert, aber wir haben immer die Wahl, wie wir dann reagieren. Und das ist sozusagen die Freiheit des Menschen, dass er immer die Möglichkeit hat, auf negative Dinge, die ihm passieren, auch so zu reagieren, dass er etwas Positives daraus macht.
Das ist mir auch selbst öfters im Leben so gegangen. Das ist einfach eine unterschiedliche Art, welche Frage stelle ich wenn mir etwas Schlechtes passiert und sage ich „ja, warum passiert es gerade mir?“ Oder „wie ungerecht ist die Welt?“ Oder ich gebe anderen die Schuld. Ich glaube, dass einen das nicht weiterbringt, wenn man dann die Schuld bei äußeren Dingen sucht. Sondern ich kann aber auch ganz anders drauf reagieren.
Ich kann sagen: „Was kann ich jetzt aus dieser Situation machen?“ Zum Beispiel der, der Nick Vujicic, der hat ja auch dann sein Nachteil, also dass er keine Arme und Beine hat, letztlich war es dann auch ein Vorteil, weil er als Motivationsredner vielleicht sonst gar nicht so erfolgreich geworden wär. Er muss niemandem beweisen, dass er es schwer hatte im Leben und viele Hindernisse überwinden musste, weil jeder, der den Menschen sieht, ohne Arme und ohne Beine, der brauch nicht viel Phantasie um sich das ausrechnen.
Dadurch hat er eine gewisse Authentizität. Und auch dem Ray Charles, den hat man schon früher, oder Stevie Wonder, der kommt auch in dem Buch vor, als den blinden Sänger vermarktet. Das heißt, selbst wenn dir was Negatives passiert im Leben, dann kannst du sogar sehen, dass du möglicherweise sogar ein Vorteil daraus dann noch machst.
CHRISTOPH DIRNBACHER: Aber die innere Einstellung ist das eine. Nick Vujicic zum Beispiel hat ja durchaus gesagt: Wenn ich sozusagen an dem Punkt angelangt war, wo ich merkte, dass ich anderen Menschen helfen konnte, dann war das für mich eine Erleuchtung. Aber das ist die innere Einstellung. Wie schaut's aus auf der anderen Seite mit der medialen Darstellung? Inwiefern ist denn sozusagen die Gefahr gegeben, dass man das macht, was Medien immer gerne machen, nämlich behinderte Menschen in zwei Kategorien stecken: Einerseits die ewig hilflosen, andererseits die auch in Ihrem Buch vorkommenden Heldengeschichten. Ist das etwas, das Ihnen begegnet ist, mit dem Sie sich beschäftigt haben? Oder war die mediale Darstellung jetzt gar nicht auf Ihrem Schirm?
RAINER ZITELMANN: Naja ich mein, da haben Sie schon recht, wenn man die Medien beobachtet. Ich kann allerdings relativ selten was finden, das wirklich so positiv und inspirierend über erfolgreiche Behinderte berichtet wird. Da gibt es ja viel, viel mehr noch, die wir alle gar nicht kennen. Die müssen auch nicht alle so erfolgreich sein wie ein Beethoven oder, oder wie ein Ray Charles. Wir sind ja Helden im Alltag, die vielleicht ihr kleines Leben hochbringen.
Wie zum Beispiel der Saliya Kahawatte. Der hat ja das Vorwort geschrieben, zu meinem Buch, den kennen manche aus dem Film Blind Dates mit dem Leben. Das ist ein Buch und auch ein Film. Das habe ich gesehen und habe ihn persönlich kennengelernt. Er hat das Vorwort geschrieben. Das ist jetzt keine Berühmtheit in dem Sinn, aber es gibt ja doch bestimmt tausende Menschen, die in ihrem Bereich, in ihrem Alltag Großartiges leisten.
Und ich finde, wir sprechen über Behinderte viel zu oft als Opfer, als Menschen, für die irgendwo der Staat irgendwie was tun soll, mehr tun soll. Hab auch gar nichts dagegen, dass der Staat auch was tut. Aber ich glaube, dass diese Menschen gar nicht primär so in dieser Rolle gesehen werden wollen, sondern ich glaube, wir sollten uns mehr auch mit solchen Menschen beschäftigen, wie es in meinem Buch vorkommt. Und wenn ich jetzt überlege, also wie viele Filme haben Sie gesehen, wie viele Berichte haben Sie gesehen über erfolgreiche, behinderte Menschen?
Sicherlich, es gibt mal den einen oder anderen Bericht, aber da könnte es viel mehr geben, meiner Meinung nach. Das wird immer viel mehr so in die Rolle desjenigen, der irgendwo, der unser Mitgefühl braucht oder wo man es fordert, der Staat, der muss noch was tun. Ich finde, dass das zu einseitig betont wird. Und wir brauchen auch alle in unserem Leben, Menschen, die uns irgendwie auch inspirieren oder an denen wir uns aufrichten können. Jeder, der hat doch auch mal von uns Phasen im Leben, wo Sachen bisschen schwierig laufen oder auch sehr schwierig schlafen oder Krisen.
So wie das bei mir war, wo ich meine Diagnose bekommen habe. So ist ja dieses Buch entstanden, das heißt Epiretinale Gliose. Da hat mir damals der Arzt gesagt, der Professor, das war ganz überraschend, also weil ich hatte eine extrem gute Sehfähigkeit. 160 % so wie die Leute gesagt haben. Sie brauchen im Leben bestimmt nie eine Brille. Und bei seiner Routineuntersuchung sagte er auf einmal: „Ja, wir haben da was festgestellt. Epiretinale Gliose.“
Hatte ich vorher nie gehört, hat sich so ne Haut über die Netzhaut gelegt und da frag ich den: „Was heißt es jetzt genau? Was kann da passieren?“ Er sagte: „Im schlimmsten Fall können Sie irgendwann nichts mehr lesen, auch nicht mit der stärksten Brille der Welt.“ Und natürlich für Menschen wie mich. Ich habe viele 1000 Bücher und ich schreibe Bücher, ist natürlich Lesen irgendwo das absolute A und O im Leben. Und das ist ein Schock, wenn man so was hört. Heute hat sich‘s jetzt gebessert.
Ich habe also an dem einen Auge zwei Operationen gehabt. Ich habe jetzt im Moment sogar sehr gut in dem Auge, was viel schwächer betroffen ist. Ich war jetzt gerade beim Arzt habe ich 160 % Sehfähigkeit, beim anderen 120 % sogar wieder. Das war nur noch 60 %. Also da hat die moderne Medizin viel geholfen. Aber erst mal hat mir das geholfen, mich tatsächlich mit diesen Menschen zu beschäftigen. Und das ist ja jetzt auch wieder so ein Beispiel. Dann kriegst du so eine Botschaft, da kriegst du so eine Nachricht.
Sie haben eine schwere Krankheit. Im schlimmsten Fall können Sie nie mehr was lesen. Da kann man ja auch anders drauf reagieren. Da kann man auch darauf reagieren, dass man sagt, ich muss jetzt anfangen zu trinken oder Drogen zu nehmen oder depressiv zu werden oder was weiß ich. Mein Weg war, dass ich gesagt habe, ich kauf mir jetzt erst mal ein paar Bücher über Blinde, die erfolgreich sind und kuck mal, ob ich was von dem lernen kann, mir da was abschauen kann.
Das war meine Reaktion. Die zweite Reaktion wo ich dann die Bücher gelesen hab war, dass ich sage: Ich schreib jetzt ein Buch darüber, was vielleicht auch andere Menschen inspiriert oder anderen Menschen hilft. Ist also auch wieder ein Beispiel: Es passiert was Negatives, Sie kriegen eine negative Nachricht und dann haben sie die Wahl. Wie reagier ich jetzt da drauf.
SANDRA KNOPP: Das Buch von Rainer Zitelmann mit dem Titel „Ich will. Was wir von erfolgreichen Menschen mit Behinderung lernen können“, ist 2021 im FBV Verlag erschienen. Das war Freak Casters für heute. Mehr Folgen unseres inklusiven Podcasts über Menschen, Geschichten und ihre Leidenschaften findet er unter Punkt Punkt kommen. Wenn euch diese Episode gefallen hat, empfiehlt uns doch bitte weiter und vergesst nicht, unseren Kanal zu abonnieren. Wir freuen uns auch über eine gute Bewertung. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.