FreakCasters - Menschen, Geschichten & Leidenschaften

Folge 44: Der Narrenturm: Ein historischer Streifzug durch den "Wiener Gugelhupf"

Episode Summary

Der 1784 erbaute Narrenturm war das erste Krankenhaus für psychisch erkrankte Menschen. Das kreisrunde Gebäude, von den Wienern auch "Gugelhupf" genannt, hat 139 einzelne Zellen und viele skurrile Facetten: Initiator Kaiser Joseph II soll viele Abende in einem Holzpavillion am Dach verbracht haben. Abwassersystem und Heizung wollten nicht so recht funktionieren. Der Narrenturm beherbergt heute die anatomisch-pathologische Schausammlung. Kustos Eduard Winter bringt uns die Geschichte dieses faszinierenden Gebäudes näher.

Episode Notes

Unweit des alten AKHs in Wien Alsergrund steht ein weißes Bauwerk: Der 1784 erbaute Narrenturm diente der Pflege psychisch kranker Menschen. Das kreisrunde Gebäude, von den Wienern auch liebevoll "Gugelhupf" genannt, hat fünf Stockwerke und insgesamt 139 einzelne Zellen. Die kreisrunde Form sollte beruhigend auf die Kranken wirken. Ob die runde Form auch mit den Mondphasen zu tun hat, lässt sich heute nicht mehr eindeutig klären.

Kaiser Joseph II besichtigte im Rahmen eines Besuchs das Pariser Zentralspital und war von den dortigen Zuständen entsetzt – er wollte es besser machen. Den Turm finanzierte der Monarch aus seiner Privatschatulle. Manche behaupten, der Kaiser selbst habe mitgeplant. Ursprünglich hatten die Zellen im Narrenturm keine Türen, diese wurden erst später hinzugefügt. Den Kranken war es gestattet, sich am Stockwerk frei zu bewegen. Für die Unterbringung der Patienten gab es klare Regeln: Im Erdgeschoss waren die sogenannten „Melancholiker“ untergebracht. Im ersten Stock die „Militär-Irren“. Die lautesten und aggressivsten Insassen waren im obersten Stockwerk. Auf diese Weise wurde die Schaulust eingedämmt. Denn ein beliebter Zeitvertreib der Wienerinnen und Wiener war das „Narrenschauen“. Deshalb wurde die Außenfassade der untersten zwei Geschoße später glatt verputzt.

Der Narrenturm war für seine Zeit durchaus ein innovatives Projekt. Jeder Insasse hatte sein eigenes Bett, pro Zelle gab es einen Abort, also eine Toilette. Etwas das für die damalige Zeit längst nicht selbstverständlich war. Auch an eine Heizung war gedacht worden. Bei der baulichen Umsetzung gab es jedoch zahlreiche Pannen. Die Warmluftheizung funktionierte nie wirklich und auch die Toiletten waren mangelhaft. Eigentlich sollten die Abwässer in den Alserbach geleitet werden, doch das Gefälle war so gering, dass sich die Fäkalien stauten. Daraufhin wurden Eimer verwendet, die einmal am Tag geleert wurden.

Schon relativ bald nach der Eröffnung war klar, dass sich das Gebäude nicht wirklich zur Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen eignet. Deshalb wurden hier die Werkstätten des allgemeinen Krankenhauses untergebracht. Die Schmiede aus dem Jahre 1870 kann bis heute besichtigt werden. Seit 1971 beherbergt der Narrenturm die anatomisch-pathologische Schausammlung. Das denkmalgeschützte Gebäude ist heute im Besitz der Universität Wien.

2020 wurde der Turm schließlich generalsaniert und barrierefrei zugänglich gemacht. Ein Lift fährt nun auch in die oberen Geschoße des historischen Gebäudes. Was der Narrenturm mit Inklusion zu tun hat, ist rasch erklärt: Er steht für den Versuch, die Lebensbedingungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen nachhaltig zu verbessern. Die damalige Art der Unterbringung, der Umgang mit den Kranken und der Sprachgebrauch, können aber nicht mit heutigen Maßstäben gemessen werden. 

Infos und Öffnungszeiten:

http://www.nhm-wien.ac.at/narrenturm

Den Podcast-Beitrag zum Narrenturm (Episode 44) findet ihr unter www.freakcasters.simplecast.com zum Nachhören und Nachlesen.